Die Eroberung des Dunkelwaldes
Landesausbau in der Gemanica Slavica
Die östlichen Randgebiete des Heiligen Römischen Reiches waren bis zum hohen Mittelalter überwiegend slawisch und teilweise baltisch bewohnte Gebiete oder, wie im Falle des sogenannten Dunkelwaldes (Miriquidi, später Erzgebirge), von dichten, undurchdringlichen Wäldern überzogenes Land.
Bereits um 1124 kam es zur Ansiedlung von Flamen und Niederländern in Norddeutschland, was unter anderem zur Gründung der Stadt Lübeck führte. Der Wendenkreuzzug von 1147 und die Eroberung Brandenburgs durch Markgraf Albrecht den Bären 1157 waren weitere Etappen des hochmittelalterlichen Landesausbaues durch deutsche Siedler.
Unter Kaiser Friedrich Barbarossa erfuhr die Landnahme einen erneuten Aufschwung. Es folgten die Besiedlung der späteren Mark Meißen durch freie Bauern vorwiegend aus Niedersachsen, Franken, Hessen, dem Harz und anderen Gebieten, sowie die Ansiedlung einer deutschen Bevölkerung im bis dahin slawisch dominierten Böhmen.
Anstoß für die Ausbreitung war die starke Zunahme der Bevölkerung auf Grund eines Klimawandels, der erhebliche Erwärmung brachte und so die Ernährungssituation für die Menschen verbesserte sowie vieler technischer Neuerungen in der Landwirtschaft, wie dem Bau von Mühlen oder der Dreifelderwirtschaft. Die bestehenden Siedlungsflächen reichten nicht mehr aus. Dazu kam, dass es eine hohe Anzahl nicht erbberechtigter Söhne des Landadels und der Bauern gab, die jetzt eine neue Chance sahen, zu Besitz und Eigentum zu gelangen.
So kamen auch in das Gebiet um Lichtenwalde und Schellenberg (Augustusburg) Siedler, vorwiegend aus Franken und Niedersachsen. Es setzte die massive Rodung der Wälder und die Errichtung zahlreicher Dörfer ein. Auf Geheiß Barbarossas wurden neue Städte gegründet, unter ihnen Chemnitz oder Zwickau.
Lichtenwalde
Lichtenwalde* ist eine kleine Gemeinde nahe der Großstadt Chemnitz. Besucher des Ortes haben in der Regel das herrliche Barockschloss zum Ziel, welches – würden Bäume nicht die Sicht versperren – 60 Meter hoch über dem Flusse Zschopau thront.
Das heutige Schloss entstand in den Jahren 1722-1730. 1722 kaufte Christoph Heinrich Reichsgraf von Watzdorf das marode Renaissanceschlosses, welches einst durch die Herren von Harras anstelle einer mittelalterlichen Burg errichtet worden war und ließ es zu einer stattlichen barocken Anlage mit einem weitläufigen Park, der heute noch seinesgleichen sucht, umbauen.
Die Geschichte Lichtenwaldes ist eine sehr wechselvolle. Seine erste urkundliche Erwähnung war im Jahre 1280, als in einem Register des Klosters Geringswalde davon berichtet wurde, dass der Ritter Heidenreich von Lichtenwalde seine Töchter zur Erziehung in das Nonnenkloster gab. Doch sicher bestand zu dieser Zeit die Burganlage bereits seit einigen Jahrzehnten, denn archeologische Grabungen ergaben, dass die ältesten steinernen Mauerreste und die Kapelle bereits in den ersten Jahren nach 1200 entstanden sind. Bauherren dürften die Markgrafen von Meißen gewesen sein, die Mitte des 12./Anfang des 13. Jahrhunderts das Tal der Zschopau im Zuge der Ostkolonisation besiedeln ließen. Die Burg diente zur Verteidigung der alten Handelswege nach Böhmen. Wahrscheinlich verwaltete ein markgräflicher Kastellan den Besitz. Möglicherweise war Lichtenwalde auch das Lehen eines Ritters der Markgrafen von Meißen oder Rochlitz.
Im Jahre 1307 fiel die Burg an die Markgrafen von Meißen zurück. Die Familie des Ritters Heidenreich ist nicht mehr nachweisbar. Doch Lichtenwalde war weit von Meißen entfernt und es gestaltete sich als schwierig in dem schier undurchdringlichen Wald an der böhmischen Grenze die Burg zu halten. Markgraf Friedrich der Ernsthafte gab deshalb die Herrschaft den Burggrafen von Meißen zum Lehen, wohl auch, um zu verhindern, dass sie ihre Finger nach anderen Ländereien ausstreckten. Doch den Meinheringern wurde der Besitz bald zur Last und sie reichten das Lehen an die Familie von Honsberg weiter. Etwa einhundert Jahre später, im Jahre 1439, tauschten die Ritter Apel von Vitzthum zu Roßla und Konrad von Stein ihre Besitzungen mit denen der Honsberger und wurden somit neue Eigentümer von Burg und Herrschaft Lichtenwalde. Doch schon wenige Jahre später gingen sie ihres Besitzes wieder verlustig, als sie während des sächsischen Bruderkrieges Drahtzieher im Altenburger Prinzenraub wurden.
Die neuen Besitzer von Lichtenwalde verliehen dem Ort einen ganz anderen Mythos. Mit Hermann von Harras übernahm 1447 ein altes, weit verzweigtes Thüringer Adelsgeschlecht die Herrschaft auf der Burg. Sein Sohn Dietrich ging als „Ritter Harras, der kühne Springer“ in die Geschichte ein, 1810 verewigt in einer Ballade Theodor Körners.
Dietrich gehörte zu den bedeutendsten Räten Herzog Albrechts von Sachsen, führte den Titel eines Marschalls und erwarb sich große Verdienste im Gefolge des deutschen Kaisers. 1499 starb Dietrich. Er wurde in der Stiftskirche Ebersdorf in der Nähe von Chemnitz beigesetzt.
Sein Enkel Eustachius ließ um 1550 die alte Burg zu einem Wohnschloss im Stile der Renaissance umbauen. Der alte Bergfried der mittelalterlichen Anlage thronte aber weiterhin trutzig über dem Tale der Zschopau. Auch die Kapelle wurde von den Neuerungen weitestgehend unberührt gelassen, sodass wir sie heute noch als romanisches Bauwerk bestaunen können.
Eustachius hinterließ keine männlichen Erben. Bei seinem Tod 1561 ging Lichtenwalde wieder in den Besitz der sächsischen Kurfürsten über.
Fast 130 Jahre später wurde Lichtenwalde abermals Gegenstand eines Tausches. Der sächsische Kurfürst Johann Georg IV. wollte seiner Mätresse Sybilla von Neidschütz das Schloss Pillnitz an der Elbe schenken. Doch dieses gehörte der Familie von Bünau. Diese sah sich, dem Wunsch ihres Landesherrn Rechnung tragend, gezwungen, Pillnitz gegen das vollkommen marode und überschuldete Lichtenwalde zu tauschen. Letztendlich wurde das Schloss versteigert, und Jakob Heinrich Reichsgraf von Flemming, königlich-polnischer und kurfürstlich-sächsischer Generalfeldmarschall erstand im Jahre 1719 den Besitz. Alsbald verkaufte er das Schloss und die Herrschaft aber wieder, und erst unter seinen neuen Herren, den Grafen von Watzdorf, wurde Lichtenwalde zu dem, was es heute noch ausmacht.
Doch wie es die Ironie des Schicksals wollte, gelangte das Schloss im Jahre 1764 nach über dreihundert Jahren wieder in den Besitz der Familie von Vitzthum, jenen, die Lichtenwalde im sächsischen Bruderkrieg verloren hatten. Denn Reichsgraf Carl Friedrich von Watzdorf starb ohne Nachkommen. Seine Witwe, Henriette Sophia, geborene Gräfin Vitzthum von Eckstädt, vererbte das Schloss ihrem Neffen. Die Familie Vitzthum bewohnte das Schloss bis zu ihrer Enteignung im Jahre 1945.
Die letzte Gräfin, Sybille, welche ihre Söhne im Krieg verloren hatte, wurde aus ihrem Heim vertrieben und kam bei einer Familie im Dorf unter. Das Schloss wurde von den sowjetischen Besatzern geplündert. Nichts überlebte diese Barbarei, Gemälde, Mobiliar, die wertvollen chinesischen Vasen, alles verschwand auf Nimmerwiedersehen oder wurde vernichtet.
Nach 1945 war das Schloss zunächst Tuberkuloseheilstätte, später Schulungszentrum. Erst mit der Wende 1990 sollte es langsam wieder seinen alten Glanz zurückerhalten. 1999 wurde es Museum und nach einer umfangreichen, zehn Jahre währenden Restaurierung konnte im Jahre 2010 das alte Schmuckstück in einem neuen Glanz der Öffentlichkeit zugängig gemacht werden.
- August Schumann, Vollständiges Staats- Post- und Zeitungslexikon von Sachsen, Band 7, Zwickau 1829.
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Das mittlere Zschopaugebiet. Werte unserer Heimat.Band 28, 1. Auflage, Akademie Verlag, Berlin 1977.
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Heinrich Theodor Flathe, Harras, Dietrich von, in: Allgemeine Deutsche Biografie (ADB). Band 10, Duncker & Humblot, Leipzig 1879.